Das kleine Dorf Koovagam im südindischen Bundesstaat Tamil Nadu wird jedes Frühjahr zur Bühne eines einzigartigen Spektakels. Tausende Menschen aus der Hijra-Community reisen an, um das Koovagam-Festival zu feiern. Das spirituelle Fest ist tief in der hinduistischen Mythologie verwurzelt. Im Mittelpunkt steht eine symbolische Hochzeit, die eine intensive Mischung aus Glaube, Identität und politischem Aktivismus verkörpert.
Koovagam-Festival in Indien: Aravan, Krishna und die Hochzeit mit dem Tod
Das Koovagam-Festival erinnert an eine Episode aus dem indischen Nationalepos „Mahabharata”. Der Krieger Aravan will sich den Göttern opfern, bittet jedoch zuvor um eine Hochzeit. Da keine Frau einen zum Tod Verurteilten heiraten will, verwandelt sich der Gott Krishna in die schöne Mohini und wird Aravans Braut. Am nächsten Tag stirbt Aravan und Mohini trauert als Witwe.
Heute wird Aravan von vielen Hijras als Schutzgott verehrt. Am 17. Tag des Festivals ziehen Hijras in Brautkleidern zum Koothandavar-Tempel. Sie erhalten vom Priester eine Hochzeitskette und feiern ihre spirituelle Verbindung. Am Tag darauf kehren sie in weißen Saris zurück, legen ihre Schminke ab, nehmen ihren Schmuck ab und zerschmettern ihre Armreifen. Ein kollektiver Moment der Trauer und Kraft.
Wer sind die Hijras?
Hijras sind Menschen, die in Südostasien als drittes Geschlecht gelten. Sie leben oft in eigenen Gemeinschaften, folgen einer Guru-Schülerin-Struktur und spielen traditionell eine Rolle bei Hochzeiten und Geburten – mit Segens- oder auch Fluchkraft. Viele Hijras wurden als Männer geboren oder sind intersexuell. Einige von ihnen entscheiden sich für eine rituelle Geschlechtsangleichung und opfern ihre Genitalien einer Göttin namens Bahuchara Mata.
Doch trotz ihrer kulturellen Verankerung erleben viele Hijras heute Ausgrenzung, Armut und Diskriminierung. Der koloniale Einfluss Großbritanniens, das 1871 Gesetze gegen sie erließ, hat Spuren hinterlassen. Noch immer kämpfen viele um Rechte, Bildung und Zugang zum Arbeitsmarkt.
Spirituelles Festival mit politischer Botschaft
Neben religiösen Ritualen bietet das Festival auch Raum für politische Forderungen und Aktivismus. Es gibt Theater, Musik, Vorträge von NGOs, Modenschauen und Schönheitswettbewerbe wie „Miss Koovagam“. Gewinnerin A. Niranjana rief 2024 dazu auf, Transmenschen durch Quoten in öffentlichen Jobs eine würdevolle Zukunft zu ermöglichen.
Für Besucher:innen von außen – auch aus Europa – ist das Koovagam-Festival ein emotionales Erlebnis. Es wirkt in seiner Intensität wie ein bunter Pride, ist aber tief in der indischen Mythologie und jahrtausendealten Tradition verwurzelt.
Tipps für eine Reise zum Koovagam-Festival
Das Festival findet jedes Jahr im April oder Mai statt und dauert insgesamt 18 Tage. Die meisten Veranstaltungen sind auf Tamil. Wer das Spektakel erleben möchte, sollte sich auf einfache Unterkünfte, große Menschenmengen und ein unvergessliches Abenteuer einstellen.
Auch außerhalb des Festivals lohnt sich ein Besuch des Koothandavar-Tempels. Der Tempelkomplex mit seinem farbenfrohen Gopuram (TorTurm) ist ein bedeutender Ort der Verehrung. In der ruhigen Atmosphäre abseits der Festivalzeit kann man hier persönliche Momente des Gebets oder der stillen Anerkennung erleben und Aravan auf eigene Weise Ehre erweisen.
Wenn du Indien bereist und dich für queere Geschichte, gelebte Rituale und geerdete Spiritualität interessierst, wirst du Koovagam nicht so schnell vergessen.