Kann es unter schwulen Männern echte Freundschaft geben, ganz ohne sexuelle Spannung oder romantische Gefühle? Mit dieser Frage beschäftige ich mich schon lange – vielleicht, weil sie so oft unterschwellig mitschwingt, wenn man als schwuler Mann lebt. Freundschaft, Liebe und Begehren – in der schwulen Welt verlaufen die Grenzen manchmal fließend. Doch wer sich länger in dieser Welt bewegt, weiß: Freundschaft zwischen Männern, die Männer lieben, kann tief, verlässlich und frei von erotischer Spannung sein.
Freundschaft unter schwulen Männern: Zwischen Vertrautheit und Distanz
Ich habe zwei beste Freunde, beide schwul. Wir kennen uns seit unserer Kindheit in einem kleinen Dorf in Niedersachsen, sind gemeinsam in den Kindergarten gegangen, haben dieselben Partys gefeiert, zusammen im Sportverein gespielt und Abitur gemacht. Als wir uns später unser Coming-out gestanden, war das fast nebensächlich – unsere Freundschaft war längst gewachsen, bevor Sexualität überhaupt ein Thema wurde.
Vielleicht liegt genau darin der Schlüssel: Wir sind nicht über die „Gay-Szene“ oder Dating-Apps wie PlanetRomeo, Grindr oder Scruff in Kontakt gekommen, sondern auf eine bodenständigere Weise – durch gemeinsame Erlebnisse und die Gewissheit, sich seit Jahrzehnten zu kennen. Auch unsere Eltern kennen sich von klein auf. In dieser Freundschaft spielen sexuelle Anziehung oder Romantik keine Rolle. Sie ist ruhig, konstant und vertraut – ein Gegenpol zur Schnelllebigkeit, die das Leben vieler schwuler Männer heute prägt.
Wir haben gelernt, dass Nähe nicht immer körperlich sein muss. Dass Zuneigung sich auch darin zeigen kann, einfach füreinander da zu sein, ohne Erwartungen. Es ist eine Freundschaft, die über das hinausgeht, was man auf Partys, in Bars oder auf Reisen flüchtig erlebt.
Wenn Freundschaft und Eifersucht aufeinandertreffen
Trotzdem ist es naiv zu glauben, dass Freundschaften unter schwulen Männern immer einfach sind. Manchmal entstehen Spannungen – subtil, unausgesprochen, aber spürbar.
Ich erinnere mich an eine Situation, die mich lange beschäftigt hat. Mein Mann hatte vor einiger Zeit einen Verehrer. Er war ein wirklich sympathischer Mann: charmant, intelligent und mit einer gewissen Leichtigkeit, die man sofort mochte. Ich verstand mich auf Anhieb gut mit ihm und konnte mir vorstellen, dass daraus eine echte Freundschaft entstehen könnte. Gemeinsame Abende, Essen gehen, vielleicht sogar zusammen in den Urlaub fahren – all das schien mir möglich.
Doch es kam anders. Ich merkte, wie Eifersucht in mir aufstieg. Gleichzeitig ahnte ich, dass auch er mich als Konkurrenten wahrnahm. Zwei schwule Männer, beide in der Nähe desselben Partners. Selbst wenn niemand flirtet, bleibt da dieses subtile „Abtasten“. Eine Dynamik, die in heterosexuellen Freundschaften selten zu finden ist.
Diese Erfahrung hat mir gezeigt, wie eng Emotionen, Stolz und Unsicherheit beieinanderliegen können. Und wie wichtig es ist, in langjährigen Beziehungen offen über solche Gefühle zu sprechen, bevor sie etwas zerstören, das eigentlich harmlos begonnen hat.
Wenn aus Sex Freundschaft wird – und trotzdem hält
Ein anderes Phänomen beobachte ich immer wieder: Viele schwule Freundschaften entstehen nach einer sexuellen Begegnung. Man lernt jemanden kennen, schläft miteinander und merkt anschließend, dass eine Freundschaft die bessere Option wäre.
Ich habe selbst einige solcher Freundschaften. Wir hatten einmal Sex, fanden uns sympathisch, aber merkten schnell, dass daraus keine Beziehung werden würde. Stattdessen blieb etwas anderes: eine entspannte, ehrliche Verbindung ohne den Druck von Begehren oder Erwartungen.
Das funktioniert, weil man sich auf einer gewissen Ebene schon „kennt“. Die Spannung ist raus, man muss nichts beweisen. Es bleibt das, was viele Freundschaften zwischen schwulen Männern so besonders macht: eine offene, direkte Kommunikation und ein tieferes Verständnis füreinander, weil man ähnliche Erfahrungen teilt – vom Coming-out bis hin zu gesellschaftlichen Erwartungen oder Diskriminierung im Alltag.
Warum unter schwulen Männern oft Konkurrenz entsteht
Und doch ist da etwas, das schwule Freundschaften manchmal belastet: Konkurrenz. Sie zeigt sich selten offen, aber sie existiert. Wer hat den trainierteren Körper? Wer hat die glücklichere Beziehung, das erfolgreichere Leben, die größere Reichweite auf Instagram?
In der schwulen Szene – ob in Berlin, Köln, Hamburg oder auf Gran Canaria – spielen Äußerlichkeiten eine große Rolle. Das erzeugt ein Spannungsfeld zwischen Freundschaft und subtiler Rivalität. Man bewundert sich, vergleicht sich, misst sich – oft ohne es zu wollen.
Doch erst, wenn man diese Vergleiche loslässt, entsteht wahre Freundschaft. Wenn man den anderen nicht als Konkurrenten, sondern als Verbündeten sieht. Wenn man lernt, Zuneigung nicht mit Besitzanspruch zu verwechseln.
Nähe ohne Konkurrenz macht echte Freundschaft aus
Nach all den Jahren glaube ich: Echte Freundschaft zwischen schwulen Männern braucht drei Dinge – Vertrauen, Humor und klare Grenzen.
Vertrauen, um über Unsicherheiten offen zu sprechen. Humor, um Spannungen zu entschärfen. Und Grenzen, um zu wissen, wann Nähe zu viel wird.
Ich bin dankbar für Freundschaften, die genau das aushalten. Freundschaften, die nicht auf Körper, Flirts oder Erwartungen basieren, sondern auf Geschichten, Erinnerungen und Vertrautheit. Sondern auf Geschichten, Erinnerungen und Vertrautheit. Auf dem Wissen, dass man sich gegenseitig nichts beweisen muss.
Freundschaft unter schwulen Männern als stilles Versprechen
Freundschaften zwischen schwulen Männern sind ein kleines soziales Kunstwerk: sensibel, ehrlich, manchmal anstrengend, aber unglaublich wertvoll. Sie können Stabilität in einer Welt geben, die von Aufmerksamkeit, Likes und Reizen lebt.
Ich glaube fest daran, dass Nähe ohne Konkurrenz möglich ist. Vielleicht ist sie sogar die ehrlichste Form von Liebe, die zwei Männer erleben können – ganz ohne Beziehung, ganz ohne Sex. Es geht nur um Respekt, Vertrauen und die Gewissheit: Ich mag dich einfach, so wie du bist.
